„Bruxelles pleure aujourd’hui“ – Zum Tod von Freddy Thielemans

Viele Mitglieder und Freunde des Ortsvereins werden sich gut an Freddy Thielemans erinnern. Viele Jahre war der joviale, wortgewandte und vielsprachige Sozialist Bürgermeister in Brüssel. Er legte großen Wert auf intensiven Kontakt zum SPD-Ortsverein Brüssel.  

1944 in Laeken geboren und „unter dem Atomium aufgewachsen“ war er zunächst Lehrer, bevor er 1983 Kabinettschef des damaligen Brüsseler Bürgermeisters Hervé Brouhon wurde. 1989-1994 war er Schöffe in Brüssel und 1994 kurzfristig ein erstes Mal Bürgermeister, bevor er 1995-99 Mitglied des Brüsseler Regionalparlamentes und 1999-2001 des Europaparlamentes wurde.

Seine eigentliche Leidenschaft galt der Kommunalpolitik und als Bürgermeister der Innenstadtgemeinde Brüssel 2001-2013 hat er viele Entwicklungen angestoßen, die die Stadt so lebenswert und attraktiv für Bürger aus vielen Ländern machen. 

Freddy war ein überzeugter Sozialist und Europäer und verkörperte Weltoffenheit und Toleranz, ohne dabei jemals seine Verwurzelung in alten Brüsseler Traditionen aufzugeben. Auf ihn ging die Idee zurück, nach der Einführung des aktiven und passiven Kommunalwahlrechts für EU-Bürger und Drittstaatenangehörige in Belgien, möglichst viele Staatsangehörige aus anderen Ländern auf seiner, der PS-Liste, bei den Kommunalwahlen kandidieren zu lassen. Das war zum einen sicher wahltaktisch überlegt – jede/r dieser Kandidaten/innen würde Wähler/innen aus seinem/ihrem jeweiligen Land besonders ansprechen und für die PS überzeugen können – entsprang aber auch der Überzeugung, dass Integration aktiv betrieben werden müsse und dass Diversität und Vielfalt die große Stärke seiner Partei sei. 

Auf diese Weise habe ich Freddy kennengelernt: Zur Vorbereitung des Kommunalwahlkampfes 2006 fragte er bei Werner Wobbe, dem damaligen OV-Vorsitzenden an, ob es im OV eine Frau mit deutschem Pass gäbe, die eine Adresse mit der Postleitzahl „1000 Bruxelles“ hätte und bereit sei, für die PS zu kandidieren. Dann hätte er eine paritätisch besetzte Liste, in der auch die allermeisten in Brüssel ansässigen Nationalitäten vertreten seien. Da ich die drei Voraussetzungen erfüllte, kandidierte ich gerne und so erlebte ich Freddy als Wahlkämpfer: bei Reden auf großen Veranstaltungen, bei parteiinternen Diskussionen des Wahlprogramms und nicht zuletzt am Wahlabend, als er mit großer Mehrheit als Bürgermeister wiedergewählt wurde. Es ist schwer zu sagen, in wie vielen Sprachen wir, sein Wahlkampfteam und die Kandidaten, an diesem Abend auf der Place Rouppe zusammen die Internationale sangen, um den Wahlsieg zu feiern. Damit symbolisierten wir genau das, wofür Freddy eintrat: egal woher man kommt, egal welche Sprache man spricht – in Brüssel können wir alle zu Hause sein und gefeiert wird, gut brüsselerisch, mit mindestens einem „Zinneke“-Bier. 

Ein anderes denkwürdiges Ereignis aus dieser Zeit war die Einweihung der Karl-Marx-Plakette an der „Maison du Cygne“ auf der Grand‘ Place. Dieses Projekt haben der OV, vor allem sein Vorsitzender Werner Wobbe, und Freddy gemeinsam betrieben. Die Verhandlungen waren langwierig – zum einen aus konservatorischen Gründen, zum anderen, weil nicht allen Parteifamilien – in Belgien wie in Deutschland – der Gedanke gefiel, dass an der Grand‘ Place ausgerechnet Karl Marx kommemoriert werden sollte. Aber am Ende waren alle dort versammelt: der damalige deutsche Botschafter in Belgien; Rainer Hoffmann, damals Vorsitzender des Europäischen Gewerkschaftsinstitutes, der Vorstand und viele Mitglieder des OV und natürlich Freddy. Auch bei dieser Gelegenheit hielt er eine Rede über Offenheit und Toleranz: Marx sei für Emanzipation und Gerechtigkeit eingetreten, nicht für Unterdrückung. Brüssel sei stolz, dass der deutsche Philosoph und Begründer der Arbeiterbewegung nachweislich im „Cygne“, damals eine Arbeiterkneipe, mit belgischen Arbeitern gefeiert habe. 

Freddy verband auf eine unnachahmliche Weise Kommunales, Europäisches und Globales. In seiner Gemeinde Brüssel machte er Weltpolitik, indem er vorlebte, dass nicht Herkunft wichtig ist, sondern gemeinsame Ziele und Überzeugungen. 

Am 29. Januar 2022 ist Freddy Thielemans verstorben. 

„Bruxelles pleure aujourd’hui“! (Philip Close, Bürgermeister der Stadt Brüssel)

Katharina Erdmenger

Beisitzerin im SPD-OV Brüssel

Das Bild zeigt: Freddy Thielemans und Katharina Erdmenger.

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